60 Jahre Aqua Viva
Am 19. März 1960 gründeten Pioniere der Schweizer Umweltbewegung den Rheinaubund – seit 2012 Aqua Viva. Anlass waren die Proteste gegen den Bau des Kraftwerks Rheinau. Die Vereinsgründer zielten auf den Erhalt und die Wiederherstellung natürlicher Gewässerlebensräume in Rheinau und der ganzen Schweiz. Eine Aufgabe, die heute so aktuell und dringend ist wie damals. Zu ihrem 60-Jahre-Jubiläum weist die Gewässerschutzorganisation auf die Gefährdung natürlicher Gewässerlebensräume und ihrer Bewohner hin.
«Aqua Viva ist stolz auf 60 Jahre Gewässerschutz. Wenn es um die Interessen von Gewässern und deren Bewohnern ging haben wir stets mitgestaltet und uns an vorderster Front für den Vollzug des Errungenen stark gemacht. Damit wir uns auch in Zukunft über lebendige Bäche, Flüsse und Seen in der Schweiz freuen können, werden wir auch weiterhin unsere Rolle als Anwältin der Gewässer wahrnehmen» sagt Hanspeter Steinmetz, Geschäftsführer von Aqua Viva.
In der Schweiz gelten heute nur noch rund fünf Prozent des Gewässernetzes als vollständig intakt. Die Folge ist ein dramatischer Artenrückgang am und im Gewässer: Über ein Fünftel der vom Aussterben bedrohten oder ausgestorbenen Arten sind ans Wasser gebunden, ein weiteres Fünftel an Ufer und Feuchtgebiete. Kein anderer Lebensraum hat derart unter den Aktivitäten des Menschen gelitten wie die Fliessgewässer. Darum kämpft Aqua Viva seit 60 Jahren für deren Schutz und Revitalisierung.
Das Kraftwerk Rheinau steht exemplarisch für die Notwendigkeit des Engagements der Gewässerschutzorganisation gestern wie heute. Die Tatsache, dass durch den Aufstau der Rheinfall zwei Meter an Fallhöhe verlieren und seine Wasser praktisch in einen See stürzen würden, brachte mehr als 10’000 Bürgerinnen und Bürger auf die Strasse und führte 1954 zur ersten eidgenössischen Volksabstimmung, die sich um den Schutz einer Landschaft drehte. Treibende Kraft hinter den Protesten war die Rheinauinitiative, aus der am 19. März 1960 der Rheinaubund hervorging.
Mit dem Bau des Kraftwerks veränderte sich der Charakter des Rheins. Von Beginn an leiteten die Betreiber bis zu 99 Prozent des Flusswassers in den Kraftwerksstollen. Um zu verbergen, dass der Rhein unterhalb des Hauptwehrs nur noch ein Rinnsal ist, wurde er zusätzlich mit zwei Hilfswehren aufgestaut. Die Stromschleife um das Kloster Rheinau wurde zum Stillgewässer. Typische Fliessgewässerarten wie Äsche, Barbe oder Nase verschwanden, und dies in einer Landschaft, die als besonders wertvoll anerkannt ist und im Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung aufgeführt wird. Das Gewässerschutzgesetz macht verbindliche Vorgaben zu Restwassermengen und Fischgängigkeit. Doch die Kraftwerksbetreiber haben bisher alle Vorschläge zur Sanierung der stossenden Situation auf die lange Bank geschoben. Das kritisiert Aqua Viva entschieden: Wie an vielen Schweizer Kraftwerken müssten die Rechte der Gewässerlebensräume hinter den Interessen der Wasserkraftnutzung zurückstehen.
Obwohl der Kampf gegen den Kraftwerksbau verloren ging, kann Aqua Viva auf grosse Erfolge zurückblicken. Direkt aus der Rheinaubewegung hervorgegangen sind 1962 die deutliche Annahme des Natur- und Heimatschutzartikels in der Bundesverfassung sowie 1966 das Bundesgesetz für einen wirksameren Natur- und Heimatschutz. Auch am 1992 in Kraft getretenen Gewässerschutzgesetz wirkte Aqua Viva mit. Hinzu kommen unzählige Projekte an Bächen, Flüssen und Seen, bei denen sich Aqua Viva für ökologisch tragfähige Lösungen erfolgreich einsetzte. 2006 erweiterte die Gewässerschutzorganisation ihre Aufgaben um den Bereich der Umweltbildung. Seitdem begeistert sie schweizweit jährlich Tausende Kinder und Jugendliche für das Thema Wasser und macht die Faszination natürlicher Gewässerlebensräume erlebbar.